Die Woche voraus:
Markt-Update von Allianz Global Investors

Unsicherheitsprämie
Die Unsicherheit, mit der sich Kapital-märkte und Volkswirtschaften derzeit herumschlagen müssen, könnte größer kaum sein. Dabei ist es nicht die Geopolitik, die für eine derartige Verwirrung sorgt, sondern es sind die selbstgemachten ökonomischen Zerwürfnisse. Zumindest zeigt sich, dass der Index für geopolitische Risiken sich in jüngerer Zeit kaum verändert hat, während der Index für wirtschaftspolitische Unsicherheit geradezu raketenhaft angestiegen ist. Beide Indikatoren basieren auf Algorithmen, welche die Zeitungsberichterstattung nach jeweils geo- bzw. wirtschaftspolitischen Schlagwörtern unter Risikoaspekten einsortieren. Verwunderlich ist diese Entwicklung nicht. Handelspolitik, steigende Staatsschulden, die als Folge der jüngsten Budgetbeschlüsse des US- Repräsentantenhauses weiter wachsen dürften, der Verlust des Tripple-A- Ratings für die US-amerikanischen Staatsschulden, die Kritik an der unabhängigen US-Zentralbank Federal Reserve (Fed), … alles das erhöht die Unsicherheit. Das Unangenehme daran ist: Anders als Risiken, die abschätzbar sind, sind Unsicherheiten eben nicht berechenbar. Dennoch müssen die Kapitalmärkte versuchen, dies abzuschätzen und in Form einer Unsicherheitsprämie einzupreisen.
Und diese Unsicherheitsprämien zeigen sich bereits. Der US-Dollar zeigt Schwäche. Gleichzeitig sind die Renditen der US-Staatsanleihen („Treasuries“) merklich gestiegen. Die anschwellenden, staatlichen Defizite und der endgültige Verlust des Tripple-A Ratings fordern ihren Tribut. Was dabei auffällt: Die enge Beziehung zwischen den Renditen von US- Staatsanleihen und dem Dollar hat sich aufgelöst. Die Kosten für Staatsanleihen und der Wert der Währung hatten sich über die letzten Jahren tendenziell im Gleichschritt bewegt, wobei höhere Renditen in der Regel eine starke Wirtschaft signalisierten und ausländisches Kapital anzogen, was den Dollar stärkte. Dieses Zusammenspiel funktioniert aktuell nicht mehr (siehe Grafik). Die Unsicherheit fordert ihren Preis. Die Renditen steigen nicht wegen der starken Konjunktur (das Bruttoinlandsprodukt der USA rutschte im ersten Quartal ins Minus), sondern wegen des steigenden Refinanzierungsbedarfs des Staates und der Sorge um die Unabhängigkeit der Zentralbank.
Gold, bekannt als Krisenindikator und Versicherung gegen Inflation (aber nicht für Erträge und Zinseszinsen), verteidigt sich auf neuen Höhen sehr tapfer. Unsicherheitsgewinner scheinen auch der deutsche und europäische Aktienmarkt zu sein. Der schwache Dollar gibt Rückenwind für Zuflüsse aus dem Dollarraum. Die im Vergleich zu den USA attraktiveren Bewertungen dürften zusätzlich locken.
Zu diesen Unsicherheitsprämien gehört auch ein makroökonomischer Preis, der dafür gezahlt werden muss. Es fällt auf, dass die Inflationserwartungen der US-amerikanischen Verbraucher deutlich gestiegen sind. Nach den Erhebungen der Universität von Michigan stellen sich die Verbraucher auf eine Inflationsrate von über 6% ein. Werden in der Folge sinkende Reallöhne erwartet, wird das nicht ohne Auswirkungen auf den Konsum bleiben. Tatsächlich ist das Verbrauchervertrauen des Conference Boards vom November 2024 an geradezu eingebrochen, und konnte sich erst im Mai wieder erholen. Die Verbraucher haben verstanden: Zölle sind am Ende nur eine Form von Mehrwertsteuer, die an der Grenze erhoben und vom Verbraucher gezahlt werden. Bleibt abzuwarten, ob die jüngste Erholung des Vertrauens Bestand haben wird. Es könnte sich womöglich als Momentaufnahme herausstellen, in einem Umfeld als die schädliche Zollpolitik zeitweilig abgemildert wurde. Durch sind wir mit dem Thema bestimmt noch nicht. Im Gegenteil. Zwar hat das US-Handels-Gericht („Court of international Trade“) geurteilt, dass die von Präsident Trump verhängten Zölle auf Importe ungültig seien, weil der Präsident seine Befugnisse überschritten habe, das sollte aber nicht ohne Widerspruch bleiben.
In diesem Kontext ist die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession in den nächsten Monaten gestiegen. Die weitere Entwicklung hängt dabei sehr stark von dem weiteren Verlauf des Zollkonflikts ab. Was Konjunktur stützend wirken sollte ist der Impuls durch das Steuerpaket das unter „Big Beautiful Bill“ firmiert, und dessen Wachstumseffekts vermutlich in den Jahren 2026–28 eintreten wird. Bei einem zu erwartend nur geringen Multiplikatoreffekt könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesen Jahren um ca. 0,4 Prozentpunkte höher sein als im Basisszenario – auf Kosten vernehmlich höherer Staatsschulden und Zinszahlungen.
Der Preis der Unsicherheit: höhere US-Anleiherenditen, schwächerer US-Dollar
Quelle: LSEG Datastream, AllianzGI Global Capital Markets & Thematic Research, 02.06.2025
Wertentwicklungen der Vergangenheit erlauben keine Prognose für die Zukunft.
Die US-Inflationsraten dürften in Folge der US-Zollpolitik aber auch aufgrund der Migrationspolitik zumindest temporär deutlich ansteigen. Die massive Ausweisung von Arbeitskräften lässt steigenden Lohndruck erwarten. Die Herausforderungen, vor denen sich die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) sieht, könnten größer kaum sein: Sie sieht sich einem zunehmenden Wachstumsrisiko bei steigenden Inflationsrisiken gegenüber, während der politische Druck für Zinssenkungen steigt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat es dagegen leichter. Sie kann ihren eingeschlagenen Pfad der Zinssenkung in Ruhe noch ein Stück fortsetzen. Die Wachstumsrisiken in Folge der US-Zollpolitik als auch ein nachlassender Lohndruck geben ihr den notwendigen Spielraum.
Verlässlichkeit wünscht Ihnen,
Dr. Hans-Jörg Naumer